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Das 2-Liter-Wasser-am-Tag-Konzept: Ein Mythos unter der Lupe

Seit Jahren hält sich die Empfehlung, täglich zwei Liter Wasser zu trinken, hartnäckig. Viele Menschen folgen dieser Faustregel, in dem Glauben, dass sie ihre Gesundheit nur dann optimal unterstützen können, wenn sie diese Menge an Flüssigkeit konsumieren. Doch immer mehr Wissenschaftler stellen diese pauschale Vorgabe in Frage. Tatsächlich basiert die „2-Liter-Regel“ weder auf soliden wissenschaftlichen Beweisen noch auf klaren medizinischen Empfehlungen. Doch woher kommt dieser Mythos, und was ist die richtige Menge an Flüssigkeit, die der Körper wirklich braucht?


Ursprung des 2-Liter-Mythos

Der Ursprung der Empfehlung, zwei Liter Wasser am Tag zu trinken, ist schwer nachzuvollziehen, aber viele Forscher glauben, dass sie auf einen Missverständnis basiert. Einer der oft zitierten Ursprünge stammt aus einem Bericht der National Academy of Sciences in den USA aus dem Jahr 1945, in dem empfohlen wurde, etwa 2,5 Liter Flüssigkeit pro Tag zu konsumieren (1). In diesem Bericht wurde jedoch auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Großteil dieser Flüssigkeit aus Lebensmitteln stammen kann. Diese wichtige Information wurde über die Jahre ignoriert, und die Empfehlung verwandelte sich in die pauschale Aussage, dass zwei Liter Wasser getrunken werden müssen.


Einheitsgröße für alle? Ein wissenschaftlicher Irrtum

Ein wesentlicher Punkt der Kritik am 2-Liter-Mythos ist, dass er nicht die individuellen Unterschiede in Bezug auf Alter, Geschlecht, Aktivitätsniveau, Körpergewicht und klimatische Bedingungen berücksichtigt. Jeder Mensch hat einen unterschiedlichen Wasserbedarf, der von zahlreichen Faktoren beeinflusst wird. Es ist wenig sinnvoll, eine starre Regel für alle zu verordnen.

Zudem ist es wichtig zu verstehen, dass Wasser nicht die einzige Quelle für Flüssigkeit ist. Die Flüssigkeit, die wir durch Essen, insbesondere durch wasserreiche Nahrungsmittel wie Obst und Gemüse, aufnehmen, trägt ebenfalls zu unserem täglichen Wasserbedarf bei. Ein Großteil der Menschen erhält bereits einen erheblichen Teil ihres Wasserbedarfs durch Nahrung, ohne dies bewusst wahrzunehmen.


Die Rolle von Durst als natürlicher Regulator

Die einfachste und effektivste Methode, den Wasserbedarf zu regulieren, ist der Durst. Unser Körper besitzt ein hochkomplexes System, das uns signalisiert, wenn wir Flüssigkeit brauchen. Der Hypothalamus im Gehirn überwacht den Flüssigkeitshaushalt des Körpers und löst das Durstgefühl aus, sobald unser Wasserbedarf steigt. Bei gesunden Menschen ist der Durst ein sehr verlässlicher Indikator dafür, wann es Zeit ist, zu trinken.

Studien haben gezeigt, dass gesunde Menschen sich in der Regel auf ihr Durstgefühl verlassen können, um den Wasserhaushalt zu regulieren. Der Zwang, künstlich große Mengen Wasser zu trinken, obwohl kein Durst empfunden wird, ist nicht nur unnötig, sondern kann in extremen Fällen sogar gefährlich sein.


Wissenschaftliche Empfehlungen zum Wasserbedarf

Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und Empfehlungen zum Flüssigkeitsbedarf sind deutlich differenzierter als das einfache „Trinke zwei Liter Wasser täglich“. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat beispielsweise eine detaillierte Empfehlung basierend auf Alter, Geschlecht und individuellen Umständen herausgegeben. Nach ihren Angaben benötigen Frauen etwa 1,6 Liter und Männer etwa 2 Liter Wasser pro Tag – dies schließt jedoch sämtliche Flüssigkeiten ein, die sowohl durch Getränke als auch durch Nahrung aufgenommen werden.

Laut der EFSA liegt der durchschnittliche Wasserbedarf bei:

  • Frauen: etwa 2,0 Liter Flüssigkeit pro Tag (einschließlich Wasser aus Lebensmitteln)

  • Männer: etwa 2,5 Liter Flüssigkeit pro Tag (einschließlich Wasser aus Lebensmitteln) (2).


Besonders betont wird, dass diese Werte Richtwerte sind und je nach individuellen Faktoren wie Aktivitätslevel, Außentemperatur und Gesundheit variieren können. Menschen, die stark schwitzen, etwa durch Sport oder bei hohen Temperaturen, haben einen höheren Flüssigkeitsbedarf. Ebenso benötigen stillende Mütter mehr Flüssigkeit.


Zu viel Wasser kann schaden: Hyponatriämie

Eine übermäßige Wasseraufnahme kann, besonders unter bestimmten Bedingungen, gesundheitsschädlich sein. Eine der bekanntesten Gefahren ist die Hyponatriämie, auch als Wasservergiftung bekannt. Dieser Zustand tritt auf, wenn durch übermäßigen Wasserkonsum der Natriumspiegel im Blut zu stark verdünnt wird. Dies kann zu Symptomen wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Krampfanfällen und im schlimmsten Fall zu Koma und Tod führen. Zwar ist Hyponatriämie relativ selten, aber sie zeigt deutlich, dass „mehr Wasser“ nicht immer besser ist (3).


Wasser aus Lebensmitteln: Ein unterschätzter Faktor

Viele Lebensmittel tragen zur täglichen Flüssigkeitsaufnahme bei. Vor allem Obst und Gemüse wie Gurken, Melonen, Orangen, Erdbeeren oder Tomaten bestehen zu einem Großteil aus Wasser und liefern damit einen erheblichen Beitrag zur Hydratation. Tatsächlich schätzt man, dass etwa 20-30 % des täglichen Wasserbedarfs durch die Nahrung gedeckt wird (4).

Zudem ist es nicht nötig, ausschließlich Wasser zu trinken. Auch andere Flüssigkeiten wie Tee, Kaffee und sogar Suppe tragen zur Flüssigkeitszufuhr bei. Die frühere Annahme, dass koffeinhaltige Getränke wie Kaffee und Tee den Körper dehydrieren, wurde mittlerweile widerlegt – sie tragen in moderaten Mengen zur Flüssigkeitsversorgung bei (5,6).


Fazit: Höre auf deinen Körper

Die pauschale Empfehlung, zwei Liter Wasser pro Tag zu trinken, basiert nicht auf wissenschaftlich fundierten Beweisen und ist für viele Menschen schlicht unnötig. Der Wasserbedarf variiert stark von Person zu Person, und der beste Ratgeber ist dein eigenes Durstgefühl. Solange du gesund bist und auf deinen Körper hörst, wirst du ausreichend hydriert bleiben.

Statt sich starr an die 2-Liter-Regel zu halten, ist es sinnvoller, bewusst auf deinen Körper zu achten und genügend Flüssigkeit durch Getränke und wasserreiche Lebensmittel aufzunehmen. Denke daran, dass Flüssigkeitszufuhr nicht nur durch Wasser erfolgt und dass der individuelle Bedarf je nach Lebensstil und Umgebung unterschiedlich sein kann.


Quellen


  1. National Research Council, Food and Nutrition Board. Recommended Dietary Allowances. 1945.

  2. European Food Safety Authority (EFSA). (2010). Scientific Opinion on Dietary Reference Values for water. EFSA Journal 8(3):1459.

  3. Hew-Butler, T., et al. (2015). Sodium balance, osmoregulation, and physical performance during extreme exercise: a case study of excessive sodium intake. British Journal of Sports Medicine, 49(4), 252-256.

  4. Popkin, B. M., D'Anci, K. E., & Rosenberg, I. H. (2010). Water, hydration, and health. Nutrition Reviews, 68(8), 439-458.

  5. Valtin, H. (2002). “Drink at least eight glasses of water a day.” Really? Is there scientific evidence for “8 × 8”? American Journal of Physiology - Regulatory, Integrative and Comparative Physiology, 283(5), R993-R1004.

  6. Ruxton, C. H., Hart, V. A. (2011). Black tea is not significantly different from water in the maintenance of normal hydration in human. British Journal of Nutrition, 106(4), 588-595.



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